Innenstädte attraktiv gestalten – wie, in Zeiten von Online-Handel, Inflation und steigenden Mieten? In Lübeck lautet das Schlagwort der Stunde: „Mixed Use“, gemischte Nutzung.
Die Hansestadt geht neue Wege, um die Innenstadt zu beleben. Und das nicht allein: Gewerbetreibende, Unternehmer, Startup-Gründer, aber auch Verantwortliche von Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie Bürger und weitere Interessierte können sich aktiv beteiligen. Zwei große Projekte gehen hierfür 2023 unter dem Stichwort „Mixed-Use-Konzept“ an den Start: zum einen die Entwicklung und Planung für die künftige Nutzung der früheren Karstadt-Sport-Filiale, das sogenannte Haus B am Lübecker Schrangen, das die Stadt Lübeck Ende 2022 gekauft hat. Außerdem wird die städtische Wirtschaftsförderung mit dem INNOVATIONSKONTOR-Teilprojekt IMPULS.RAUM Lübeck ein innovatives Konzept für die Innenstadtbelebung anstoßen. Beide Initiativen ergänzen sich und greifen ineinander. Ziel beider Vorhaben ist es, durch das Zusammenspiel unterschiedlichster Akteure das Innenstadtleben abwechslungsreicher und attraktiver zu gestalten. Für das Haus B wird es im Frühjahr einen Planungs- und Beteiligungsworkshop geben, an dem sich künftige Nutzer beteiligen können. Für IMPULS.RAUM Lübeck ist ein erster Wettbewerb mit reger Teilnahme bereits zu Ende gegangen. Interessierte können sich jedoch ab sofort für die zweite Ausschreibungsrunde der Wirtschaftsförderung bewerben. Und es wird weitere Chancen geben, teilzunehmen: Denn das Projekt läuft bis Mitte des Jahres 2025. Beide Projekte gehören zum INNOVATIONSKONTOR.LÜBECK, unter dessen Dach Entwicklungs- und Wandlungsprozesse im Sinne einer zukunftsfähigen Innenstadt umgesetzt werden. Das Gesamtprojekt ist als bundesweit höchste Einzelförderung im Rahmen des Bundesprogramms „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ mit rund fünf Millionen Euro gefördert worden.
Darum geht es: die Innenstadtbelebung
Um die Innenstadt zu stärken und attraktiver zu gestalten, sind neue Konzepte vonnöten – darüber sind sich die Verantwortlichen bei der Stadt einig. Das aus der Zeit gefallene Konzept des großen Warenhauses soll aufgebrochen werden zugunsten einzelner Beteiligter, die kreative, außergewöhnliche und nützliche Verbindungen eingehen. Handel, Veranstaltungen, Diskurs, Ausstellungen und mehr – all diesen Bereichen soll in Kombination Raum gegeben werden. Für Beteiligte bietet sich so nicht nur eine neue (Handels-)Plattform, sondern auch die Möglichkeit, sich auszuprobieren, ohne gleich aufs Ganze gehen zu müssen, was teure Investitionen angeht: ein wichtiger Umstand in Zeiten, die durch Inflation, Krieg und Pandemie gezeichnet sind. Gerade für den Handel ergibt sich damit ein nicht zu verachtender Nebeneffekt. Startups mit einer Fläche im Haus B etwa, erhalten die Möglichkeit, ihre Idee mit geringem Risiko zu testen und lukrative Kontakte zu alteingesessenen Betrieben und Unternehmen in der Innenstadt zu knüpfen. IMPULS.RAUM Lübeck sieht (zunächst) eine temporäre Nutzung seiner Gewerbeflächen vor. Gerade wer sich im Handel aufgrund schlechter Zeiten schwer damit tut, größere Investitionen zu wagen, trägt mit einer zeitlich überschaubaren Anmietung von beispielsweise einem halben Jahr ein geringeres Risiko, ohne sich finanziell zu übernehmen. Als Teil des Konzepts wird sich im Übrigen bei beiden Projekten die Höhe der Mietzahlung für Gewerbeflächen in Grenzen halten – bei IMPULS.RAUM Lübeck sind bestenfalls sogar nur die Nebenkosten zu zahlen.
Was ist künftig vorstellbar in Haus B?
Knapp 9000 Quadratmeter Nettoraumfläche stehen interessierten Nutzern in der früheren Karstadt-Sport-Filiale und somit mitten im Herzen der Innenstadt zur Verfügung. Die Nutzung durch Handel und Gewerbe ist vornehmlich für das Erdgeschoss vorgesehen. Popup-Stores, Startups und Einzelhandel in Gründungssituation können sich hier um eine Fläche bewerben. Das Haus B ist durch die neue Eigentümerin Hansestadt unabhängig vom Galeria-Karstadt-Gebäude, dennoch soll die unterirdische Verbindung zwischen den Häusern bestehen bleiben. Denn das ist Teil des Konzepts: Laut Lübecks Bürgermeister Jan Lindenau solle auch dieser Übergang zum Warenhaus Galeria Karstadt Kaufhof dazu beitragen, „Handel mit Bildung und Wissenschaft zu verknüpfen“. In den oberen Geschossen im Haus B soll vor allem eine Nutzung durch beispielsweise die Innenstadtgymnasien erfolgen, die nicht zuletzt aufgrund der Umstellung auf G9 mehr Raum benötigen. Auch die Musikhochschule wird voraussichtlich im Haus B Platz erhalten.
Das Mixed-Use-Konzept ist nicht nur vielfältig mit diversen Nutzern unter einem Dach – es ist auch flexibel: Laut Lindenau könnte etwa die Dachterrasse des städtischen Immobilienerwerbs gleich mehrfach genutzt werden: während des Schulbetriebs in der Pause als „Schulhof“. Ist die Schule aus, könnten dann in luftiger Höhe auch andere Veranstaltungen, beispielsweise Konzerte der Musikhochschule, stattfinden. Denkbar ist für Jan Lindenau auch, dass die Dachterrasse außerhalb der Schulöffnungszeiten für die Bürger einfach so, als Ort zum Verweilen, zur Verfügung steht. Das Erdgeschoss wird ebenfalls nicht allein dem Kommerz gewidmet sein: Hier kann sich Jan Lindenau gut ein Miteinander des Handels mit temporären Bildungsaktivitäten, Kunst, Kultur etc. vorstellen: vom „begehbaren Schaufenster der Wissenschaft“ bis hin zu verschiedenen Abendveranstaltungen.
Erlebnisshopping statt „Warenlager“
„Die reine Warenpräsentation reicht heutzutage für einen Einzelhändler nicht mehr aus“, sagt Dario Arndt, Prokurist der Lübecker Wirtschaftsförderung. Schon die Informationen zu den Waren gebe es zuhauf im Internet, meist werde das Gesuchte gleich online bestellt – und einkaufen vor Ort damit hinfällig. Für den Wirtschaftsexperten wirken gerade größere Häuser häufig wie ein „begehbares Warenlager“, was für ihn „durchaus sinnvoll, aber nicht ausreichend“ sei. „Denn das Einkaufserlebnis ist doch ein zentrales Element beim Shopping.“ IMPULS.RAUM Lübeck soll ein Testballon sein, um mit der gemischten Nutzung ein kreatives, konstruktives und dynamisches Miteinander zu entwickeln, spannendes Erlebnisgefühl für Macher, Nutzer und Kunden inklusive. Und dieses Angebot richtet sich nicht nur an Lübecker Interessierte: Jeder, der sich mit seiner Geschäftsidee in Lübeck ansiedeln möchte, ist willkommen.
Besonders an IMPULS.RAUM Lübeck ist, dass die Wirtschaftsförderer auch Lübecks Immobilieneigentümer mit ins Boot holen. In der Innenstadt geht der ausgewiesene Leerstand gegen null – dabei gibt es immer wieder für das Gewerbe geeignete Erdgeschossflächen, bei denen deren Eigentümer Leerstand aus verschiedenen Gründen hinnehmen. Hier wollen die Projektinitiatoren bei den Immobilieneigentümern ein Umdenken erreichen – damit neue Nutzungsmöglichkeiten als Chance angesehen werden. Was laut Dario Arndt bereits „erstaunlich gut klappt“. Manchmal ergibt sich auch ein Leerstand, da ein Gebäude schlicht zu groß für eine Einzelnutzung ist. IMPULS.RAUM Lübeck ist auch in diesem Fall eine Option: mit neuen Nutzungskonzepten, die gegebenenfalls mit modularen, recyclebaren Ladenbauelementen auch in kleinere Einheiten aufgeteilt und so an Nutzer entsprechend ihres Flächenbedarfs abgegeben werden können.
Mit „Leerstandssatelliten“ beleben
IMPULS.RAUM-Projektmanagerin Linda Osterloh möchte mit dem Vorhaben Impulse überall in der Innenstadt setzen – mit kleinen „Leerstandssatelliten“ dafür sorgen, dass die Flächennutzung neu überdacht und reaktiviert würde. Unternehmer, Gründer und Kreative: Jeder darf sich laut der IMPULS.RAUM-Projektmanagerin angesprochen fühlen, sich um eine der zu vermietenden Flächen zu bewerben, gern auch ganz junge Interessenten, bei denen die Zukunft liege. Linda Osterlohs Appell an alle Interessierten ist es, „auch einmal etwas zu wagen, und das kann man mit IMPULS.RAUM Lübeck gut ausprobieren“. Bewerben können sich alle Interessierten, Immobilienbesitzer sogar fortlaufend, ohne einen Einsendeschluss beachten zu müssen, unter www.luebeck.org/impulsraum.
Die komplette Initiative INNOVATIONSKONTOR.Lübeck setzt neben den beiden vorgestellten Projekten – Umnutzung des Warenhauses und IMPULS.RAUM Lübeck – auf „Erleben“ und „Steuern“: Unter dem Stichwort „Erleben“ ist die Lübeck und Travemünde Marketing GmbH für die Inszenierung des öffentlichen Raumes in der Innenstadt zuständig: Das Areal wird attraktiver gestaltet, Innenstadtbesucher sollen dadurch länger verweilen und gerne wiederkommen wollen. Der vierte Schwerpunkt, „Steuern“, liegt bei der Stadt Lübeck: Es wird eine Innovationsstrategie und Steuerung der Teilprojekte unter Federführung der Stadtplanung geben. Wie genau die Steuerung aussehen wird, entscheidet sich laut Jan Lindenau noch, das hänge vom Nutzerinteresse und der weiteren Entwicklung der spannenden Einzelprojekte ab.